Die Systemische Hyposensibilisierung

Die systemische Hyposensibilisierung (SHS) setzt sich aus drei grundlegenden Elementen zusammen:

  1. Die neuronale Hyposensibiliserung
  2. Die dermatologische Hyposensibilisierung
  3. Die immuntherapeutische Hyposensibilisierung

Alle drei Aspekte werden im weiteren Verlauf grob beschrieben; weitere Details finden Sie in unseren kostenlosen Leitfäden, die Sie hier downloaden können.

1. Die neuronale Hyposensibilisierung

Bei atopisch veranlagten Kindern sind die Gehirnstrukturen so empfindlich programmiert, dass sie auf minimale Reize ansprechen und auch leichter einen Fehlalarm auslösen können. Häufige Fehlalarme mit einhergehender Hormonausschüttung führen im Laufe der Zeit zur Erschöpfung und Überempfindlichkeitsreaktionen des Organs, das am engsten mit dem zentralen Nervensystem verwandt ist: Der Haut. Dieser Zusammenhang verdeutlicht, dass nicht nur die Haut behandlungsbedürftig ist. Um eine nachhaltige Verbesserung zu bewirken, sollte die Behandlung auch auf die Vorgänge im zentralen Nervensystem eingehen. 

Eine Veränderung der Eltern - Kind - Interaktion ist hierbei der Schlüssel. Die Behandlung der überreizten Wahrnehmung steht hierbei im Vordergrund, denn auf diesem Weg können die psychischen und körperlichen Beschwerden nachhaltig und selbstwirksam verändert werden.

In den ersten sechs bis neun Lebensmonaten entwickelt sich das Urvertrauen des Kindes. In dieser Zeit ist das Kind auf die prompte Zuwendung der Eltern angewiesen. In den ersten Lebensmonaten müssen Kinder sensibel, feinfühlig und liebevoll versorgt werden, um eine sichere Bindung aufbauen zu können.

Ca. ab dem neunten Lebensmonat befindet sich das Baby nach und nach auf dem Weg zur Selbstfindung. In dieser Zeit beginnt das Baby, mit seinen Fingern und Füßen zu spielen. Es erkundet sich selbst und entwickelt ein Interesse für sich. Diese Phase, in der das Kind beginnt, sich selbst wahrzunehmen, ist der Zeitraum, in dem man statistisch die häufigsten Neuerkrankungen an Neurodermitis verzeichnet. All die in Phasen verlaufenden Ablösungsbestrebungen des Kindes sollten behutsam und aufmerksam durch die Eltern begleitet werden.

Die Erfahrungen im Umgang mit Eltern von Neurodermitis-Kindern zeigen, dass viele dieser Eltern aus großer Sorge und Liebe zu ihrem Kind zur Überfürsorglichkeit neigen. Zudem zweifeln diese Eltern leicht an sich selbst.
Eltern wollen ein gesundes Kind und versuchen alles, um zu helfen, und doch bleibt das Kind krank. Sensible Eltern neigen häufig dazu, auf jede Regung des Kindes sofort einzugehen.

Ein Weinen des Kindes wird oft als ein Mangel interpretiert, den die Eltern zu verantworten haben. Eltern tun alles, um das Kind zu beruhigen und möchten so gut wie möglich helfen, dass es dem Kind schnell wieder besser geht.
Ist das Kind zudem noch krank, ist die Reaktion meist noch intensiver. Hier wird die große Liebe zum Kind, die hohe beidseitige Sensibilität und das intensive Mitfühlen deutlich. Diese Bestrebungen sind alle wertzuschätzen und absolut nachvollziehbar. Aber auf der anderen Seite birgt sich hier auch etwas, das dem an Neurodermitis erkrankten Kind schadet:

Wenn über einen langen Zeitraum auf jede Regung des Kindes übertrieben aufwendig reagiert wird, wenn jedes Weinen als Mangelsituation interpretiert wird, wird dem Kind keine Chance geboten, sein Befinden zu äußern und dies loszuwerden; oder auch mal die Erfahrung zu machen, selbst klarzukommen ohne die Hilfe der Eltern.
Wenn Eltern die perfekte Harmonie mit ihrem Kind anstreben, neigen sie dazu, für ihr Kind alles zu tun, noch bevor dieses einen Wunsch äußert. Dieses Verhalten kann das Kind in seiner Entwicklung behindern.

Eine ganz konkrete Anleitung zur darauf basierenden spezifischen Eltern - Kind - Interaktion finden sie im Eltern-Leitfaden.

2. Die dermatologische Hyposensiblisierung

Die Grundprinzipien der Hautpflege: Aktive Auseinandersetzung statt Vermeidung

Man sollte sich von dem Irrglauben verabschieden, dass die Vermeidung von sogenannten »Provokatoren«, vermeintlichen Störfaktoren, Besserung bringen würde. Immer mehr forschende AllergologInnen sehen das mittlerweile ähnlich. Die meisten DermatologInnen sind von diesem Sinneswandel allerdings noch weit entfernt. Die Vermeidung von Störfaktoren ist ein fester Bestandteil der individuellen Therapie, darunter fallen etwa Textilien (zum Beispiel Wolle), Schwitzen, falsche Hautreinigung, bestimmte berufliche Tätigkeiten (feuchtes Milieu, stark verschmutzende Tätigkeiten), Tabakrauch, unzählige Allergene, Mikroben, klimatische Faktoren wie extreme Kälte und/oder Trockenheit, hohe Luftfeuchtigkeit, psychischer Stress sowie emotionale oder hormonelle Faktoren bei Schwangerschaft und Menstruation. 

Die konsequente Einhaltung der Vermeidungsempfehlungen ist kaum möglich. Wie sollen Schwangere oder Pubertierende ihre Hormone in Schach halten, wie soll der Atopiker seine Emotionen kontrollieren, psychischen Stress, Schmutz, Schweiß oder Mikroben vermeiden? Versuchen Betroffene nun doch, alles zu vermeiden, was triggern könnte, entstehen oder vermehren sich dadurch eine ängstliche Vermeidungshaltung, die zur vermehrten Ängstlichkeit und psychischen Überempfindlichkeit führt. Vermeidungsempfehlungen, die nicht oder nur unvollständig befolgt werden können, ergeben keinen Sinn! Sie verursachen nur ein schlechtes Gewissen und Angst vor den Konsequenzen – und damit noch mehr Überreizung und Sensitivität. Das wiederum verschlimmert den Krankheitszustand, wie die aktuellen Forschungsergebnisse zeigen.

Die Selbstregulationsfähigkeit anregen

Jedes Organ ist aktiv an der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Gesamtorganismus beteiligt. Es verliert diese Fähigkeit relativ rasch, wenn seine Funktionen nicht genutzt werden. Wenn die Haut über lange Zeit hinweg mit allen möglichen, oft antiseptischen, feuchtigkeitsspendenden Pflegemitteln substituiert wird, verliert sie schnell ihre wichtigsten Funktionen, vor allem die natürliche Fähigkeit zur Regulierung des Flüssigkeitshaushaltes, zum Stoffaustausch sowie die Schutz- und Abwehrfunktion. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass eine so malträtierte Haut empfindlicher und anfälliger für Krankheiten ist. 
Das allein macht noch kein Ekzem, die Überversorgung der Haut ist aber wie alles, was im Übermaß angeboten wird, schädlich und kann die Entwicklung einer Hautkrankheit begünstigen. Die Haut ist in der Lage, sich an verschiedene Situationen anzupassen, sich gegen Eindringlinge zu wehren und eingetretene Schäden selbstständig zu reparieren – wir müssen das nur zulassen. Bei allem, was wir unserer Haut zumuten, sollten wir uns fragen, ob es ihr nützt oder eher schadet. Man sollte alles unterlassen, was sie selbst schafft, und sie nur dann in ihrem Bemühen unterstützen, wenn sich ihre Möglichkeiten offensichtlich erschöpfen.

Medikamente und ihre Zubereitung

Die Zahl der Arztbesuche und der Medikamentenbedarf sinken oft drastisch, wenn der Patient beziehungsweise seine Eltern damit beginnen, selbstständig und eigenverantwortlich zu agieren. Es bedarf keines Medizinstudiums, um eine Hautentzündung bedarfsgerecht zu behandeln. Es müssen aber einige Grundbegriffe geklärt werden, damit die nachfolgenden Therapieempfehlungen verständlich werden. Bei den äußerlich anwendbaren dermatologischen Medikamenten ist die Konsistenz, d. h. unter anderem der Wassergehalt, wichtig. Eine stark wasserhaltige Zubereitung wirkt beispielsweise intensiver als eine trockene. Die Anwendung von wasserhaltigen Zubereitungen darf aber nicht zu lange dauern, sonst leidet die Barrierefunktion der Haut, und sie trocknet nach Absetzen stark aus.

Weitere wichtige spezifische Information zur Hautpflege, zu Cremerezepturen, zum Anlegen von fett feuchten Verbänden etc. finden Sie hier in unserem Ärzte-Leitfaden im Kapitel 3.2

3. Die immuntherapeutische Hyposensibilisierung

Die aktive Auseinandersetzung statt Vermeidung

Die aktive Auseinandersetzung mit der Natur und der Tierwelt sowie der Verzicht auf überflüssige Diäten und überzogene Ernährungsgewohnheiten können helfen, die Angst vor vermeintlichen Gefährdungen abzubauen. Die Voraussetzung für eine solche Behandlungsweise ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern der kranken Kinder. Bei den meisten bestehen zunächst erhebliche Vorbehalte, da sie bislang das genaue Gegenteil gehört und gelesen haben. Viele sind selbst atopisch veranlagt und mit Vermeidungsempfehlungen aufgewachsen. Da diese Entbehrungen und die damit verbundenen medikamentösen Behandlungen bei nahezu keinem von ihnen jemals zu einer anhaltenden Besserung geführt haben, sind die allermeisten Eltern für diese Kehrtwende zu gewinnen. Der Hinweis, dass auf dem Land lebende Kinder, umgeben von allem, was nach Meinung von AllergologInnen krank macht, selten Allergien entwickeln, überzeugt oft endgültig.

Aktive Auseinandersetzung mit Allergien heißt nicht, dass man sich bei einer bekannten Allergie vorsätzlich dem Allergen aussetzt, vielmehr gelangt man zu der Überzeugung, die Allergie überwinden zu können. Der Weg ist die systematische, schrittweise Annäherung an das Allergen durch die spezifische Immuntherapie.

Achtung: Die strikte Vermeidung einer bekannten Allergie ist dann (zunächst) notwendig, wenn es sich um eine hochgradige Allergie gegen Nahrungsmittel und Insektengifte, beispielsweise eine Bienengiftallergie, handelt. Diese Allergien können zu einer unter Umständen lebensbedrohlichen Anaphylaxie und zum Kreislaufkollaps führen. Aber auch solche Allergien können in ihrer Schwere durch die Immuntherapie positiv beeinflusst werden, sodass sie danach zumindest nicht mehr lebensbedrohlich sind.

Die Allergiediagnostik

Vor allem Eltern von Säuglingen und Kleinkindern sind oft darüber besorgt, was bei der Allergiediagnostik mit den Kleinen angestellt wird. Sind Allergien in diesem Alter überhaupt nachweisbar? Welche Bedeutung haben die Befunde, und kann man Allergien schon so früh behandeln? Selbst unter Ärzten und Experten gehen die Meinungen darüber weit auseinander. 

Bei genauerem Hinsehen sind es fast ausnahmslos wirtschaftliche Erwägungen, die eine bedarfsgerechte Allergiediagnostik behindern. Die Behandlungen werden in den Krankenhäusern pauschal honoriert, was zwangsläufig zu Einsparungen führen muss. Pharmaunternehmen könnten sehr wirksame Desensibilisierungslösungen für Kinder herstellen, tun es aber nicht, weil es sich wegen der geringen Inanspruchnahme nicht lohnt. Niedergelassene Ärzte verfügen über ein Gesamtbudget für Laborleistungen, was ebenfalls Einschnitte im Bereich der Allergiediagnostik nach sich zieht, für die viele Ärzte selbst nicht ausgebildet sind. Grundsätzlich ist dazu Folgendes festzustellen:

  • Allergien sind oft für die Schwere des Verlaufs der anderen atopischen Erkrankungen mitverantwortlich.
  • Allergien sind in jedem Lebensalter, selbst im Nabelschnurblut des Neugeborenen, zuverlässig nachweisbar.
  • Zur anerkannten Allergiediagnostik gibt es keine Alternativen.
    Eine zuverlässige Diagnose ergibt sich aus verschiedenen Verfahren, der Anamnese, der orientierenden Prick-Testung, serologischen Laboruntersuchungen der spezifischen IgE- Sensibilisierungen und der sogenannten Placebo-geprüften Provokationen.
  • Vonseiten der Krankenversicherungen besteht keine Einschränkung für die Durchführung der bedarfsgerechten Allergiediagnostik.

Merke: Kenntnisse über die Allergien, ihre Nachweisbarkeit und die Behandlungsmöglichkeiten sind für eigenverantwortlich handelnde Eltern atopiekranker Kinder aus den oben genannten Gründen unverzichtbar.

Ein früher Erkrankungsbeginn und die familiäre atopische Veranlagung eines Patienten sprechen grundsätzlich für begleitende Allergien. Säuglinge, die beispielsweise vor dem sechsten Lebensmonat eine heftige atopische Dermatitis oder schon im ersten Lebensjahr asthmatische Episoden entwickeln, leiden fast immer auch unter Allergien, vor allem dann, wenn mindestens ein Elternteil atopisch veranlagt ist. 

Wenn die symptomatische medikamentöse Behandlung der atopischen Dermatitis oder des Asthma bronchiale zu keiner erkennbaren Besserung führt und psychosomatische Faktoren ausgeschlossen werden können, sind fast immer nicht erkannte Allergien die Ursache. Allein die zuverlässige Allergiediagnostik verschafft Klarheit.


Die Behandlung der Allergien

Die einzig möglichen ursächlichen Behandlungen der Erkrankungen des atopischen Formenkreises bieten die psychosomatische Medizin und die spezifische Immuntherapie der Allergien (SIT). Beide desensibilisieren: Die Verhaltenstherapie verringert die Hochsensibilität, die SIT die spezifischen Sensibilisierungen, die Allergien.

Alle möglichen Verfahren, aufgeschlüsselt nach Allergietyp, finden Sie im Ärzte-Leitfaden im vierten Kapitel.